Verantwortungsvolle Gießenpflege: Land Tirol hat eigenen Leitfaden entwickelt

Der Leitfaden des Landes Tirol zeigt die geltenden Spielregeln und Handlungsempfehlungen auf. Gießen – also künstlich angelegte, langsam fließende Gewässer – wurden ursprünglich zur Entwässerung von Talböden errichtet. Heute sind sie bedeutende lineare Feuchtlebensräume in intensiv genutzten Talregionen Tirols. Sie verbinden Biotope, bieten Rückzugsräume für gefährdete Tier- und Pflanzenarten und tragen wesentlich zum ökologischen Verbundsystem bei. Zudem sind sie wertvolle Lebensräume für verschiedene Fischarten, insbesondere als Laichhabitate und Rückzugszonen.

Für Gemeinden und Instandhaltungsverbände, die für Instandhaltung und Pflege dieser Gewässer zuständig sind, ergeben sich daraus besondere Anforderungen: Eingriffe in diese sensiblen Gewässerbereiche dürfen nicht nach rein technischen oder kurzfristigen Gesichtspunkten erfolgen. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Berücksichtigung rechtlicher und (gewässer-)ökologischer Aspekte.

Der vom Land Tirol 2022 veröffentlichte Leitfaden zur „Gewässerpflege von Gießen und langsam fließenden Bächen der Talböden“ bietet genau dafür einen fundierten Handlungsrahmen. Er richtet sich an alle, die Verantwortung für Planung, Umsetzung und Begleitung von Maßnahmen in diesen Gewässertypen tragen.

Gießenpflege – aber richtig

Gießen verlanden naturgemäß langsam – eine Folge ihrer geringen Fließgeschwindigkeit. Daraus ergibt sich, wie im Leitfaden beschrieben, der Bedarf an Pflege- und Unterhaltsmaßnahmen wie Vegetationspflege oder punktuelle Sedimententnahme. Gleichzeitig ist die ökologische Sensibilität dieser Gewässer hoch: Eingriffe können schnell zu Strukturverlusten, Lebensraumzerstörung oder Beeinträchtigungen der Artenvielfalt führen, wenn sie ohne abgestimmte Planung oder ohne Rücksicht auf die Biologie des Gewässers erfolgen.
Deshalb ist klar: Nicht jede Pflege ist gleichzusetzen mit Verbesserung – fachliche Planung, zeitliche Abstimmung und Rücksprache mit zuständigen Behörden, Fachstellen und der Fischerei sind Voraussetzung für einen positiven ökologischen Effekt.

Rechtlicher Rahmen: Kein Spielraum für Improvisation

Wasserrechtsgesetz (§ 50 WRG):

Die Pflicht zur Instandhaltung wasserrechtlich genehmigter Anlagen ist klar geregelt. Was viele nicht wissen: Maßnahmen, die über die reine Instandhaltung hinausgehen – etwa strukturelle Änderungen oder Erweiterungen – bedürfen einer zusätzlichen wasserrechtlichen Bewilligung. Gemeinden sollten daher genau prüfen, ob geplante Maßnahmen in den Rahmen der genehmigten Nutzung fallen oder ob es sich um genehmigungspflichtige Eingriffe handelt.

Tiroler Naturschutzgesetz (§ 7):

Auch der naturschutzrechtliche Aspekt ist von großer Bedeutung. Viele Gießen liegen in ökologisch hochwertigen Bereichen und beherbergen streng geschützte Arten (z. B. Amphibien, Fische, Krebse, Muscheln). Maßnahmen, die den Lebensraum dieser Arten beeinträchtigen könnten, sind bewilligungspflichtig – andernfalls drohen nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch irreversible Eingriffe in die Gewässerökologie.

Pflegemaßnahmen mit ökologischem Mehrwert

Kieslaichplätze und Strukturvielfalt schaffen:

Wenn eine Räumung aus wasserwirtschaftlichen Gründen erforderlich ist, z. B. zum Hochwasserschutz, kann dies gleichzeitig genutzt werden, um geeignete Strukturen für kieslaichende Fischarten (z. B. Äsche, Bachforelle) zu schaffen. Dies erfordert jedoch eine sorgfältige Abstimmung der Maßnahme auf Standort, Strömungsverhältnisse und vorkommende Fischarten. Ein gut geplanter Eingriff bietet hier eine Chance für die ökologische Aufwertung statt reiner Beseitigung. So können aus kolmatierten und verschlammten Gewässersohlenabschnitte fischökologisch wertvolle Kieslaichplätze werden, indem Schüttungen mit passendem Laichkies vorgenommen werden bzw. die Gewässersohle aufgelockert wird. So bieten reine Pflegemaßnahmen auch immer die Chance gewässerökologische Verbesserungen zu erzielen.

Ufergehölze und Wasserpflanzen:

Die Ufervegetation ist ein zentraler Baustein ökologisch hochwertiger Gewässer. Sie sorgt durch Schattenwurf, Filterfunktion und Schutzstrukturen für Fische für ein optimales Ökosystem. Die gezielte Förderung standortgerechter Gehölze erhöht nicht nur die Lebensraumqualität, sondern schützt auch vor sommerlicher Erwärmung. Gleichzeitig kann übermäßiger Makrophytenbewuchs die Sedimentablagerung fördern und Fischlebensräume degradieren. Hier ist eine behutsame, abschnittsweise Pflege angesagt, bei der Rückzugsstrukturen unbedingt erhalten bleiben müssen.

Sedimententnahme und Tierbergung:

Feinsedimente wie Sand, Schluff oder Ton beeinträchtigen die Gewässersohle und damit die Lebensbedingungen vieler Arten. Eine gezielte Sedimententnahme – idealerweise im Spätsommer oder Frühherbst – kann hier Abhilfe schaffen. Voraussetzung ist aber eine vorherige Kontrolle des Tierbestandes: Fische, Krebse oder Großmuscheln müssen vor Beginn der Arbeiten geborgen und geschützt werden. Auch das ist gesetzlich geregelt und fachlich geboten.

Fazit: Nur gemeinsam erfolgreich

Die Pflege von Gießen verlangt heute mehr als reine Bachräumungen und Kahlschläge der Ufervegetation. Es braucht Verständnis für die ökologischen Funktionen dieser Gewässer, Wissen um rechtliche Vorgaben und Zusammenarbeit.

  • Informieren Sie sich frühzeitig, ob und welche Bewilligungen erforderlich sind.
  • Nutzen Sie den Leitfaden des Landes Tirol als Arbeitsgrundlage für alle geplanten Eingriffe.
  • Koordinieren Sie Ihre Maßnahmen mit Naturschutz- und Wasserrechtsbehörden, Grundeigentümern und den Fischereiausübungsberechtigten.
  • Nutzen Sie Pflegearbeiten gezielt, um ökologische Verbesserungen zu erzielen – anstelle von bloßer Instandhaltung.

Denn: Gießenpflege ist nicht nur Pflicht – sie ist eine Chance, unsere Gewässer vielfältiger, stabiler und ökologisch sinnvoller zu gestalten.

Der Leitfaden des Landes Tirol steht hier zum Download bereit: